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null Nuklearmedizin: Geringe Bekanntheit, riesiges Potenzial

Ein neuer Therapieansatz bei Prostatakarzinomen ist nur ein Beweis für das große Potenzial, das noch in der Nuklearmedizin steckt. Doch noch immer sind Kassenstellen in der Fachrichtung beinahe inexistent.

„Schwerpunkttage zu Schilddrüsenerkrankungen sind wichtig“, begrüßte Alexander Becherer, Obmann der Bundesfachgruppe Nuklearmedizin der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) anlässlich des Welt-Schilddrüsen-Tages zu einem Pressegespräch. Denn viele Menschen seien von Funktionsstörungen oder Knoten dieses Organs betroffen. „In Österreich nimmt sich der Mehrzahl der Fälle das Sonderfach der Nuklearmedizin an, weil es die gesamten diagnostischen Maßnahmen und einen Großteil der Therapie aus einer Hand als ‚One-Stop-Shop‘ anbietet“, beschrieb Becherer.

Becherer nutzte diesen besonderen Tag auch als Anlass für eine andere wichtige Botschaft: „Die Nuklearmedizin und ihre Nöte müssen unbedingt sichtbar gemacht werden“, appellierte er.  Zum einen leide das Fach unter einem geringen Bekanntheitsgrad, „zweitens wurde bei der Schaffung des eigenständigen Sonderfaches Nuklearmedizin nicht zugleich für eine Möglichkeit der Ausübung im niedergelassenen Bereich gesorgt“, konstatierte Becherer. Es seien keine Tarife mit den Krankenkassen für Leistungen dieses Faches verhandelt und beschlossen worden. Zudem hätten Fachärztinnen und Fachärzte für Nuklearmedizin bis heute nicht die Möglichkeit, als Wahlärztinnen oder Wahlärzte tätig zu sein, weil dieses Modell eben an die Existenz eines Kassentarifes gebunden sei, so Becherer.

Dies stelle nicht nur Patientinnen und Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen vor ein ernstes Problem. „Für ihre Betreuungstermine gehen die Wartezeiten in den Spitalsambulanzen mittlerweile überall in mehrmonatige Bereiche – das ist bei nicht-schwerwiegenden Erkrankungen unangenehm, bei ernsten Erkrankungen potentiell bedrohlich“, schilderte Becherer. Aber auch Menschen mit ganz anderen Erkrankungen seien davon betroffen. „Diagnostische Leistungen des Faches werden in zunehmender Frequenz und ständig dringend von anderen Fächern angefragt, weil die Befunde therapieentscheidend sein können“, so der Fachgruppenobmann. Gleichzeitig seien die Leistungen in den vergangenen 25 Jahren komplexer und viel zeitaufwändiger geworden. Nun komme eine neu von der EMEA zugelassene nuklearmedizinische Therapie gegen metastasierenden Krebs der Prostata hinzu. „So sehr wir uns über den Fortschritt in unserem Fach freuen, so wenig sehen wir uns heraus, wie wir in der Zukunft mit immer weniger Ärztinnen und Ärzten in unserem Fach den Bedarf an unseren Untersuchungen und Therapien decken werden können“, sagte Becherer und appellierte: „Es braucht daher dringend mehr Sensibilität für den absehbaren Mangel, auf den wir uns zubewegen.“

Nuklearmedizin: Großes Zukunftspotenzial

Michael Gabriel, Präsident elect der Österreichischen Gesellschaft für Nuklearmedizin und Molekulare Bildgebung (ÖGNMB), betonte das große Potenzial, das noch in der Nuklearmedizin steckt. So sei etwa die Vielzahl der molekularen Angriffspunkte bei Krebszellen sehr groß. Darin liegt auch das künftige Potenzial der theranostischen Methoden. „Vor allem Patientinnen und Patienten, die an Schilddrüsen- oder Prostatakrebs erkrankt sind, profitieren immens von der Therapie mit Radionukliden, wie sie in der Theranostik zur Anwendung kommen.“ Das mache das Fachgebiet der Nuklearmedizin so innovativ und spannend. „In Zukunft dürfen wir auf zusätzliche nuklearmedizinische Therapien gegen Tumorerkrankungen hoffen“, meinte Gabriel.

Schlüsselfunktion für niedergelassenen Bereich

Dem niedergelassenen Kassenarzt-Bereich wird in der Zukunft eine ganz besondere Schlüsselrolle zukommen, ist Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, überzeugt. „Vom niedergelassenen Bereich beziehungsweise von seiner Niederschwelligkeit und seiner Zugänglichkeit wird unser ganzes Gesundheitssystem abhängen“, sagt Wutscher. Schließlich könne man bereits jetzt sehen, wozu Lücken in der niedergelassenen Versorgung führen – unter anderem zu einer Überlastung der Spitalsambulanzen. Das wiederum zieht einen Rattenschwanz an weiteren Problemen mit sich, etwa in der Ausbildung.

​​Daher müsse der erste Schritt die sofortige Stärkung des niedergelassenen Bereichs sein, appelliert der ÖÄK-Vizepräsident. Er fordert neben dem massiven Ausbau der Kassenstellen auch eine Flexibilisierung der Kassenverträge (etwa die Möglichkeit, Wahlarzt und Kassenarzt gleichzeitig zu sein) sowie neue Zusammenarbeitsformen für Ärztinnen und Ärzte. Die Nuklearmedizin ist für ihn ein Paradebeispiel für das große Potenzial, das im niedergelassenen Bereich immer noch brachliegt – in Form von Leistungen, die hierher ausgelagert werden könnten. „Das würde auch die dringend nötige Entlastung der Spitäler bedeuten“, ist Wutscher überzeugt. Doch immer noch sind Fachärztinnen und Fachärzte für Nuklearmedizin vom Katalog der Österreichischen Gesundheitskasse für Niedergelassene praktisch gänzlich ausgeschlossen und daher Kassenstellen für Nuklearmedizin inexistent. In der derzeitigen Situation sei eine Niederlassung quasi unmöglich, worunter das Interesse am Fach leidet und der Nachwuchsmangel immer besorgniserregender wird.

„Um attraktiv und erfolgreich Nuklearmedizin im niedergelassenen Bereich anbieten zu können, brauchen wir daher Tarife und Kassenstellen beziehungsweise Verträge für Institute“, sagt Wutscher und weist darauf, dass die Ärztekammer schon seit 2021 einen fertig vorliegenden Leistungskatalog für Nuklearmedizin ausgearbeitet hat.