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null Mehr Zeit fürs Arztsein – bei gleichzeitiger Abstimmung auf das persönliche Lebensmodell

Den jungen Ärztinnen und Ärzten müsse endlich zugehört werden, wenn es um deren Karriere- und Lebensplanung geht, fordert die Österreichische Ärztekammer.

In den nächsten Jahren gehen viele Ärztinnen und Ärzte in Pension, einige medizinische Fächer gelten jetzt schon als Mangelfächer und viele Spitäler hadern mit der knappen Personalpolitik. Umso mehr gilt es, auf die Wünsche und Bedürfnisse der jungen Ärztinnen und Ärzte Rücksicht zu nehmen. Die Qualität der künftigen ärztlichen Versorgung in Österreich, die aktuell auch international noch immer als herausragend gesehen wird, steht und fällt mit den jungen Ärztinnen und Ärzten, die jetzt ausgebildet werden.

„Daher ist es Zeit, dass die Politik den Jungen endlich ganz genau zuhört, wie sie in Zukunft arbeiten wollen – und danach trachten, diese Wünsche bestmöglich zu erfüllen“, sagte Michael Sacherer, Präsident der Ärztekammer für Steiermark und Leiter des Referats für Jungmedizinerinnen und Jungmediziner der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), bei einer Pressekonferenz in Graz.

Zu wenig Zeit für ärztliche Aufgaben, zu viel Administration

Am vergangenen Mittwoch hat die Bundeskurie angestellte Ärzte der ÖÄK auch aus diesem Grund die Enquete „Arbeitsplatz Spital – wie die Jungen künftig arbeiten wollen“ veranstaltet. „Unsere Erfahrungen aus den vergangenen Jahren wurden dabei nochmals unterstrichen“, betonte Sacherer. Ein ganz zentrales Ergebnis: Die Jungen sind höchst motiviert, das zu tun, wofür sie ausgebildet wurden – nämlich Ärztin oder Arzt zu sein und die Patienten bestmöglich zu betreuen und zu versorgen. „Aber das wollen sie nur tun, wenn man ihnen dafür ausreichend Zeit gibt und sie nicht mit bürokratischen Tätigkeiten oder anderen Hürden daran hindert.“

Schon eine Spitalsärztebefragung im Jahr 2019 hatte ergeben, dass nur 58 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit tatsächlich auf ärztliche Aufgaben entfallen, 37 Prozent auf Administration und fünf Prozent auf Lehre und Forschung. „Wir müssen jetzt leider zu dem Schluss kommen, dass sich die Situation seither nicht verbessert, sondern sogar noch zugespitzt hat“, betont der Leiter des Jungmediziner-Referats. Und Cornelia Sitter, Jungmediziner-Referentin und Turnusärztin in Steyr, ergänzte: „Die meisten klagen über zu viel Bürokratie und Dokumentation vernehmen wir besonders bei Ärztinnen und Ärzten in Ausbildung – dort macht das sogar knapp 50 Prozent der Arbeitszeit aus. Wenn wir es schaffen, das zu ändern, wäre dies schon ein ganz wichtiger Schritt zu einer deutlichen Attraktivierung des Arztberufs.“

Arbeitszeit als flexibles, individuelles Spektrum

Ganz oben auf der Prioritätenliste der Jungen steht die optimale Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Sacherer bringt es auf den Punkt: „Die Jungen wollen die Rückbesinnung auf die Kernaufgaben als Arzt, mehr Zeit fürs Arztsein bei gleichzeitiger Abstimmung auf das jeweilige, ganz individuelle Lebensmodell.“ Diese Kombination würde auch verhindern, dass jeder sobald wie möglich in eine Wahlarztpraxis flüchtet. „Wenn du als junger Arzt im Spital Zeit bekommst für das, was du gerne machen möchtest, nämlich als Facharzt in deinem Spezialgebiet Menschen zu helfen, dann wirst du dich auch im Spital wohlfühlen und deinen Beruf gerne machen – und bleiben.“

Die Realität sieht jedoch oft anders aus. Es bleibt kaum Zeit für die Patienten und kaum Zeit für sich selbst – da die Arbeitszeit laut dem KA-AZG mangels Personals kaum eingehalten werden kann und „versteckte“ Überstunden auf der Tagesordnung stehen. „Wir Ärztinnen und Ärzte sind aber auch Menschen und wir haben Familien und andere Bedürfnisse, auch wir wollen echte 40 Stunden arbeiten und unsere Arbeitszeit darf nicht mit 50 oder 60 Wochenstunden geplant werden“, sagte Sitter. Dazu kommt, dass die Dienste aufgrund fehlender Personalressourcen kaum planbar sind, insbesondere nachts oder an den Wochenenden. „Viele der jüngeren Ärzte haben – wenn möglich – auf Teilzeit reduziert und auf Geld verzichtet, damit sie auf echte 40 Stunden in der Woche kommen.“  

Aber natürlich gebe es auch andere Lebens- und Arbeitsmodelle, daher müsse ein flexibles Spektrum angeboten werden, so Sacherer. „Das jeweilige, aktuelle Lebensmodell muss respektiert werden – egal ob Teilzeit oder Vollzeit. Das darf nicht nur am Papier existieren, sondern muss in den jeweiligen Abteilungen auch gelebt werden. Es geht konkret um eine lebensphasenkonzentrierte Arbeitszeit.“ Nämlich auch in die andere Richtung, betont er: „Leistung muss sich auszahlen. Diejenigen, die mehr leisten und mehr arbeiten wollen, sollen dies bei entsprechender Bezahlung auch können.“

Neben diesen flexiblen Arbeitszeitmodellen und einer besseren Planbarkeit von Dienstende und Nachdiensten gibt es aus Sicht der Jungen noch einen weiteren Faktor, der zur Attraktivierung des Jobs und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beiträgt: Die flächendeckende Schaffung von betriebsnahen Kindergärten. Sitter: „Für viele ist das ein ganz wichtiges Entscheidungskriterium für ein bestimmtes Krankenhaus. Der Kindergarten müsste auch am Wochenende verfügbar sein – denn auch hier arbeiten die Ärztinnen und Ärzte.“ Ein weiterer Punkt ist die Frage, ob und wie Elternkarenz möglich ist und wie gut der Wiedereinstieg danach funktioniert. „Der Wiedereinstieg ist aktuell oftmals mit vielen unnötigen Hürden gepflastert – unser Bestreben im Jungmediziner-Referat ist es, gemeinsam mit den Verantwortlichen Karenz für Mütter und Väter besser zu ermöglichen und den Wiedereinstieg deutlich zu erleichtern“, sagte Sitter.

Kriterium Ausbildung

Was ebenfalls nicht vergessen werden darf, ist die Qualität der Ausbildung. Von 1. März 2023 bis vergangenen Freitag (12. Mai) hat die bisher größte Evaluierung der ärztlichen Ausbildung stattgefunden – in Kooperation von Österreichischer Ärztekammer und ETH Zürich (Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich). Die Schweizer Universität hat solche Evaluierungen bereits in der Schweiz und Deutschland erfolgreich durchgeführt. Die Ergebnisse der Umfrage, bei der mittels Fragebogen acht Themenfelder – von Betriebskultur über Lernkultur bis hin zur evidenzbasierten Medizin – abgefragt wurden, werden im Herbst veröffentlicht und sollen die Stärken und Schwächen einer Ausbildungsstätte aufzeigen, um konkret daran arbeiten zu können, die Mängel auszumerzen und die Stärken weiter auszubauen. Die Österreichische Ärztekammer kommt hier ihrer Verantwortung für die Überprüfung der Qualität der Ausbildung künftiger Ärztegenerationen nach.

„Wir wissen, dass die Ausbildung für die jungen Ärztinnen und Ärzte extrem wichtig ist und dass diese jederzeit bereit sind, in ein anderes Land zu gehen, wenn dort die Ausbildung und die Karrierechancen besser sind. Die Ausbildung muss genutzt werden, um ärztliche Kompetenz zu erwerben. Dazu muss sie ernst genommen werden.“, betonte Sacherer.

Seit Jahren fordert die ÖÄK, dass in Österreich an jeder Abteilung, an der ausgebildet wird, mindestens ein Ausbildungsoberarzt eingesetzt werden muss. Noch ist dies nicht der Fall. Sacherer alarmiert: „Hier wird von den Spitalsträgern am falschen Fleck gespart, die (zeitlichen) Ressourcen für die Ausbildung müssen drastisch erhöht werden. Die Arbeitsbelastung der Ärzte in den Spitälern nimmt weiter zu, Ausbildung kann nicht als ‚Hobby‘ unserer Ärzte betrachtet werden – es wäre ein überfälliges Zeichen der Wertschätzung, wenn die Spitalsträger flächendeckend Ausbildungsoberärzte installieren würden, und zwar ausnahmslos in jeder Abteilung im Spital, in der ausgebildet wird. Die Ressourcen für Ausbildung müssen sofort drastisch erhöht werden – personell und auch zeitlich. Die Ausbildung von Jungärztinnen und Jungärzten ist eine Verpflichtung und Teil des ärztlichen Selbstverständnisses.“

Daher ist es aus Sicht der Österreichischen Ärztekammer auch unverständlich, dass die Länder und Gesundheitsträger zahlreiche bereits bewilligte Ausbildungsstellen brach liegen lassen. Stattdessen harren viele Jungärztinnen und Jungärzte auf Wartelisten für einen Ausbildungsplatz. In einigen attraktiven Fächern, etwa in der Radiologie, sind mehr als 40 Prozent der genehmigten Plätze nicht besetzt. „Da brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Jungen ins Ausland gehen oder erst gar nicht den Arztberuf ergreifen. Jung und motiviert zu sein, aber dann kein Ausbildungsstelle zu bekommen, weil die Spitäler keine Ressourcen haben und stattdessen auf Wartelisten zu verharren - das ist es sicher nicht, was sich unsere jungen Ärztinnen und Ärzte für die Zukunft wünschen.“