PK „Übernehmen – anwenden – erfolgreich sein“: Österreichische Ärztekammer präsentiert komplettes „Regierungsprogramm“
Die Österreichische Ärztekammer stellt mit ihrem „Regierungsprogramm“ ein Patentrezept zur Rettung des solidarischen Gesundheitssystems vor.
„In gut einem Monat werden bei der Nationalratswahl die politischen Weichen für die kommenden Jahre gestellt. Die aktuellen Baustellen im Gesundheitssystem sind groß, sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in den Spitälern muss dringend gehandelt werden, um den derzeitigen Abwärtstrend zu stoppen“, sagte Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, bei der Präsentation des zweiten Teils des Empfehlungs- und Forderungskatalogs der Österreichischen Ärztekammer
„Ein gut ausgestattetes Gesundheitssystem ist eine Bringschuld der Politik. Unsere Vorschläge und Forderungen, zeigen, wie diese Bringschuld eingelöst werden kann“, so der ÖÄK-Präsident. „Dabei geht es in erster Linie um die Absicherung einer guten Gesundheitsversorgung für alle geht – und nicht nur für jene, die über ausreichende finanzielle Möglichkeiten verfügen.“ Aus Sicht der Ärztevertretung sollten einige Zielsetzungen einer zukunftsorientieren und der Patientenversorgung verpflichteten solidarischen Gesundheitspolitik sein, dass,
- … die Gesundheitsversorgung aller Bürgerinnen und Bürger nicht nur erhalten bleibt, sondern gemäß den demografischen Entwicklungen und dem medizinischen Fortschritt weiter ausgebaut wird.
- … Patientinnen und Patienten sowohl im niedergelassenen kassenärztlichen Bereich als auch in den Krankenhäusern ausreichend viele gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung stehen.
- … die Wartezeiten auf Arzt- und OP-Termine kürzer werden.
- … Menschen in Gesundheitsberufen mehr Zeit für Patientinnen und Patienten bleibt.
- … der Arztberuf als Freier Beruf erhalten bleibt.
„Ein zentraler Punkt ist dabei der folgende: Damit ausreichend viele Ärztinnen und Ärzte unserem solidarischen und sozialen Gesundheitssystem zur Verfügung stehen, muss sichergestellt werden, dass sie erstens in Österreich bleiben, und dass sie zweitens gerne in öffentlichen Spitälern und Kassenpraxen arbeiten“, brachte es Steinhart auf den Punkt.
Wutscher: Finanzmittel kommen nicht an
„Mit Verboten, Zwangsmaßnahmen und der Auslagerung von Leistungen an immer noch geringer qualifizierte Berufsgruppen macht es sich die Politik zu leicht. Es wird ein harter und anstrengender Weg sein, das Kassensystem nach den Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre wieder auf einen Erfolgskurs zu führen“, betonte Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte: „Aber nur so wird es funktionieren und daran werde ich den kommenden Gesundheitsminister – wer immer es sein mag – auch messen.“ Erstaunlich sei es, dass die Politik offensichtlich glaube, die Probleme im Kassenbereich seien mit den 300 Millionen Euro aus dem Finanzausgleich gelöst. „Von den 300 Millionen merken wir im niedergelassenen Bereich überhaupt nichts – es wurde damit keine einzige neue Leistung geschaffen, wir haben immer noch fast 300 offene Kassenstellen. Es müssen endlich die Probleme an der Wurzel angepackt werden.“
„Zur Entlastung der aktuellen Strukturen und damit des Gesundheitssystems ist eine stärkere Lenkung der Patientinnen und Patienten unumgänglich. Diese müssen über den Weg durch das System klar informiert werden“, forderte Wutscher. Dazu bedürfe es primär Anreizsysteme für die Einhaltung der vorgesehenen Versorgungspyramide. „Die Versorgungspyramide muss für Patientinnen und Patienten wie folgt logisch nachvollziehbar und klar sein: niedergelassener Allgemeinmediziner – niedergelassener Facharzt – Spitalsambulanz – stationäre Spitalsbehandlung“, postulierte Wutscher. „Das Ziel muss sein, die Strukturen so auszubauen, dass jeder Patient einen Arzt des Vertrauens als zentralen Ansprechpartner im Gesundheitssystem benennen kann“, so Wutscher. Der Eintritt in die Spitalsambulanz erfolgt dann mit Überweisung durch niedergelassenen Facharzt oder Allgemeinmediziner mit Steuerung über die e-Card – ausgenommen sind natürlich Notfälle.
Voraussetzung dafür sei natürlich eine Stärkung des niedergelassenen Bereichs, etwa durch Flexibilisierung der Kassenverträge. Dazu zähle neben der Etablierung eines neuen, einheitlichen Leistungskatalogs im niedergelassenen Bereich eine leichtere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, z.B. durch lebensphasengerechte Vertragsmodelle. Zudem müsste die Zuwendungsmedizin erweitert und die leistungsfeindlichen und realitätsfremden Deckelungen und Degressionen abgeschafft werden, so Wutscher, der sich auch gegen die Einführung eines leistungshemmenden Pauschalierungssystems und gegen berufliche Einschränkungen oder Zwangsvorgaben für Wahlärztinnen und Wahlärzte aussprach.
„PVE light“ sollen niedergelassene Versorgung verbessern
„Wir brauchen im niedergelassenen Bereich eine breite Palette ärztlicher Angebote – nicht jedes Modell ist für jedes Gebiet gleich gut geeignet.“, erklärte Wutscher. Neben Einzelordinationen sollten Gruppenpraxen, Karenz-/Teilzeitmodelle, Jobsharing, Primärversorgungszentren und -netzwerke nebeneinander bestehen. „Es ist deshalb wünschenswert, dass im Sinne einer bestmöglichen Patientenversorgung auch Einzel- und Gruppenpraxen – ebenso wie PVE - zusätzliches nichtärztliches Personal finanziert bekommen, etwa diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal, Sozialarbeiter oder Psychologen („PVE light“). Das wäre ein wichtiger weiterer Schritt in Richtung einer niedrigschwelligen, wohnortnahen und multiprofessionellen Primärversorgung unter ärztlicher Leitung“, so Wutscher.
Knapp: Karriere im Spital wieder erstrebenswert machen
Gleichzeitig zum Ärztemangel im öffentlichen System, den es mit den erwähnten Maßnahmen zu bekämpfen gelte, gebe es aber auch innerhalb der Ärzteschaft einen Mangel, der extern kaum beachtet werde und schwer wiege, betonte Rudolf Knapp, stellvertretender Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte: „Es rollt ein Mangel an Primarärztinnen und -ärzten auf uns zu“, bringt es Knapp auf den Punkt. „Das Interesse, Primararzt zu werden, sinkt rapide. Diesen Umstand kompensieren die Spitalsträger mit Doppelt- oder Dreifach-Primariaten, um Engpässe zu verschleiern. Wir haben nicht nur das Problem, dass wir es kaum schaffen, ausreichend Jungärzte im Land zu halten – es möchte auch eigentlich niemand mehr im Spital Karriere machen, sondern so schnell wie möglich das öffentliche Gesundheitssystem verlassen. Wenn wir jetzt nicht auch hier schnell umdenken, droht dem Führungssystem auf Kosten der Versorgung der Kollaps.“ Knapp forderte: „Man muss auch neue Ideen andenken dürfen, etwa geteilte Abteilungsführungen oder Teilzeitmodelle mit klaren Spielregeln.“ Zudem sei ein wesentlicher Faktor Zeit für die direkte Weitergabe von Berufserfahrung und Expertise an die jungen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen von Tutorien. „Nur wenn dafür Zeit geschaffen wird, werden wir auch künftig unsere Primariate wieder leichter und besser besetzen können“, sagte Knapp.
Digitalisierung – aber richtig
Um die Ärztinnen und Ärzte generell zu entlasten, fordert die Österreichische Ärztekammer auch eine umfassende, funktionierende Digitalisierungsoffensive mit Investitionen in die nationale Gesundheitstelematik-Infrastruktur in Form einer „e-Health-Milliarde“. „Alles, was im Spital nicht mehr analog gemacht werden muss, sondern automatisch und digital erledigt werden kann, entlastet uns Ärzte, sagte Knapp. „In den meisten unserer Spitäler erfüllt die IT aber nicht das, das wir uns erwarten. Wir stehen gerne mit unserer Expertise bereit, um Digitalisierung zu pushen. Dazu gehört natürlich auch die digitale Vernetzung von extra- und intramuralem Bereich.“ In Dänemark zum Beispiel nutzt der niedergelassene Bereich die gleichen EDV-Systeme wie die Spitäler – und auch die Patientinnen und Patienten, nicht nur die Ärztinnen und Ärzte, können jederzeit jede Information abrufen. „Es braucht Lösungen und Möglichkeiten der Digitalisierung, die zum Nutzen der Patientinnen und Patienten rasch in die medizinischen Prozesse einfließen“, unterstrich Knapp. „Auf jeden Fall ist es wichtig, dass wir Ärzte in diese Prozesse und Entwicklungen einbezogen werden und dass die IT-Systeme nach unseren Anforderungen gebaut werden. Man darf nicht erwarten, dass sich die Ärzte an die Systeme, die sich IT-Experten ausgedacht haben, anpassen. Denn digitale Medizin soll eine Entlastung für die Ärzte sein – zum Wohle des Patienten.“
Während eine richtig gemachte Digitalisierung in der Medizin die Gesundheitsversorgung auf ein höheres Niveau heben könnte, sind die immer wieder zu hörenden Rufe aus der Politik nach mehr Medizinstudienplätzen in Österreich kein probates Mittel, um den Ärztemangel zu stoppen, unterstrich der BKAÄ-Obmannstellvertreter, der stattdessen einen besseren Umgang mit den Absolventinnen und Absolventen forderte. Weiters fordert die ÖÄK eine EU-weite Quote von Mindeststudienplätzen pro EU-Mitgliedsstaat. Außerdem sollen künftig nur jene EU-Bürgerinnen und -Bürger einen Studienplatz in Österreich erhalten, die auch in ihrem Heimatland Zugang zu einem Studienplatz hätten.
10-Punkte-Plan
„Wie auch immer die nächste Regierung aussieht, wenn diese Punkte der ÖÄK aufgegriffen und umgesetzt werden, wird es mit dem österreichischen Gesundheitssystem endlich wieder bergauf gehen“, resümierte Steinhart und forderte die Politik auf: „Übernehmen – anwenden – erfolgreich sein. Leichter als mit unserem Programm kann es eine Regierung gar nicht haben.“
Steinhart fasste die wichtigsten Maßnahmen in einem 10-Punkte-Plan zusammen:
- Die ärztliche Tätigkeit muss dereguliert, flexibilisiert und entbürokratisiert werden.
- Ein Dispensierrecht in Arztpraxen bedeutet besseren Service durch Medikamente direkt vom Arzt.
- „PVE light“ sollen die niedergelassene Versorgung verbessern.
- Die Abschaffung der unechten Umsatzsteuer-Befreiung für Ärzte würde Ordinationsgründungen erleichtern.
- Einzelordinationen sollen als GmbH geführt werden können.
- Kein Alterslimit für Kassenärztinnen und Kassenärzte
- Jedes EU-Land sollte selbst so viele Ärzte ausbilden, wie es benötigt.
- Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in Österreich.
- Die ärztliche Freiberuflichkeit muss erhalten bleiben
- Partizipation der Ärztekammer an gesundheitspolitischen Entscheidungen ist unerlässlich
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PK-Unterlage
ÖÄZ Sonderausgabe vom 15. August (Regierungsprogramm ab S. 23)
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Foto Credit: ÖÄK/Stefan Seelig