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null PK Mehr Patientensicherheit durch offenere Fehlerkultur

10 Jahre Critical Incident Reporting System CIRSmedical.at

Seit 2009 ist mit CIRSmedical.at Österreichs nationale Fehlerberichts- und Lernplattform für das Gesundheitswesen online, auf der alle Beschäftigten im Gesundheitswesen, und seit 2017 auch Patienten, absolut anonym über sicherheitsrelevante Ereignisse berichten können. CIRSmedical entstand auf Initiative der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und wird von der Österreichischen Gesellschaft für Qualitätssicherung & Qualitätsmanagement in der Medizin GmbH (ÖQMED) betrieben. Die Beobachtungen über Fehler und Beinahe-Fehler sind ein unverzichtbares Element im Bemühen um mehr Patientensicherheit und eine offenere Fehlerkultur im Gesundheitswesen.

„Im Gesundheitssystem dürfen einfach keine Fehler passieren, lautet, frei übersetzt, einer der Kernsätze in einem bahnbrechenden Bericht über ebensolche Fehler im US-amerikanischen Gesundheitssystem, der im Jahr 2000 international für Aufsehen gesorgt hatte. Und das, obwohl das Scheitern und Neu-anfangen-Dürfen, anders als in Europa, zum ,amerikanischen Traum‘ dazugehören. Doch im Gesundheitsbereich gelten verständlicherweise andere Maßstäbe. Schließlich legt ein Patient etwas Unersetzliches in die Hände von Ärzten und Pflegern: seine körperliche und psychische Integrität“, erklärte Artur Wechselberger, Leiter zweier ÖÄK-Referate, die sich vorrangig mit Qualitätssicherung, Qualitätsmanagement und Patientensicherheit befassen.

Mitarbeiter im Gesundheitswesen seien sich ihrer immensen Verantwortung bewusst, sie sähen sich oft mit extrem hohen Erwartungen konfrontiert und seien letztlich doch auch Menschen. „Trotzdem müssen sie nicht selten auch heute noch damit leben, dass ,Heilern‘ und Ärzten der Mythos der Unfehlbarkeit zugeschrieben wird“, sagte Wechselberger. „Wenn ein Fehler passierte, stand früher somit nur eine Frage im Mittelpunkt: die nach dem Schuldigen.“

Lernpotenzial

Egal ob ein Fehlerberichts- und Lernsystem nur innerhalb einer Organisation, etwa eines Spitals, eingesetzt werde oder wie CIRSmedical.at organisationsübergreifend – die Schuldfrage stelle sich hier nicht. Denn, so Wechselberger: „Für die Anzeige strafrechtlich relevanter Vorfälle sind Polizei oder Staatsanwaltschaft zuständig. Bei CIRS geht es hingegen darum, Fehler als Lernquelle zu nutzen, um eine Fehlerkultur ohne ,blame and shame‘.“ Untersucht würden die Fragen: Was ist geschehen? Was war das Ergebnis? Warum ist etwas geschehen und wie könnte es künftig verhindert werden? Allein im vergangenen Jahr wurde durchschnittlich 290-mal pro Tag auf CIRSmedical.at zugegriffen. Die Berichte spielen auch eine wichtige Rolle im Fortbildungsangebot der Österreichischen Akademie der Ärzte: Mehr als 1000 Ärztinnen und Ärzte haben seit Sommer 2018 die E-Learning-Module zu den Themen „Medikamentenfehler vermeiden“ und „Kommunikation im Gesundheitssystem“ absolviert.

CIRS im Einsatz

Neben individuellen Usern nutzen derzeit 22 Organisationen die Möglichkeit, CIRSmedical als eigene „Meldegruppe“ einzurichten, darunter vor allem Spitäler, aber etwa auch die ÖÄK-Sektion Allgemeinmedizin oder das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK). Die Leiterin des Rettungsdienstes und der psychosozialen Betreuung des ÖRK, Monika Stickler, nennt CIRS einen guten Weg, die Qualität in der präklinischen Versorgung von Patienten zu verbessern und sicherzustellen.

In der CIRS-Meldegruppe „Rettungsdienst“ gehen monatlich etwa fünf neue Fälle ein. Wegen der positiven Erfahrungen im Rettungsdienst hat das Rote Kreuz CIRS 2013 auch für den Bereich der Hauskrankenpflege geöffnet. „Die Sicherheit der Patienten muss an oberster Stelle stehen. Wir brauchen im Gesundheitsbereich eine offenere Fehlerkultur. CIRS ist hier ein wichtiger Schritt“, so die Leiterin des ÖRK-Rettungsdienstes.

Bevor Berichte über kritische Ereignisse im Gesundheitsbereich im österreichischen Fehlerberichts- und Lernsystem CIRSmedical veröffentlicht werden, durchlaufen sie ein streng geregeltes Prüfverfahren. „Nur so können sie als sinnvolle Basis für Verbesserungen und für die Vorbeugung von Fehlern dienen“, sagte der Leiter der Referate für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement sowie für für Leitlinien, Patientensicherheit, HTA und Guidelines International Network der Österreichischen Ärztekammer, Artur Wechselberger.

Ein Bericht müsse relevant für die Sicherheit im Gesundheitswesen sein, der Berichtende müsse den Vorfall selbst beobachtet haben oder daran beteiligt gewesen sein und seine Schilderung müsse vollständig und sachbezogen sein. Nicht veröffentlicht würden daher Diffamierungen oder reine Beschwerden. „Für Beschwerden sind Spitalsombudsleute, Patientenanwaltschaften oder die Schlichtungsstellen der Landesärztekammern zuständig“, betonte auch die Präsidentin der Plattform Patientensicherheit und Ärztliche Leiterin des Krankenhauses Hietzing, Brigitte Ettl. „Auch kein Fall für CIRS sind Arzneimittel-Nebenwirkungen. Solche Beobachtungen sind direkt der österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit zu übermitteln“, ergänzte Wechselberger.

Absolut anonym

Berichte, die auch außerhalb der eigenen Einrichtung sicherheitsrelevant sein könnten, können von der jeweiligen Organisation in das nationale CIRSmedical überspielt werden. Vor der Veröffentlichung durchläuft jeder Bericht ein Anonymisierungsverfahren, sodass Rückschlüsse auf den Absender absolut unmöglich sind. Schließlich prüft auch noch das Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen (BIQG) die korrekte Prozessabwicklung.

Teure Fehler

„Bereits 2005 wurde mit der ,Luxemburger Deklaration‘ der Europäischen Union Patientensicherheit zu einem hochrangigen Thema innerhalb der Union erhoben. Das wichtigste Anliegen dieser Deklaration ist die Schaffung einer Kultur, in der es möglich ist, aus Fehlern zu lernen, anstatt nach Schuldigen zu suchen und Bestrafung zu fordern“, erklärte Brigitte Ettl.

Die Tatsache, dass vielen Patienten unnötig Schaden zugefügt und damit gleichzeitig eine nicht unbeträchtliche Summe an Geld verschwendet worden sei, habe man früher einfach verdrängt. Ettl: „Im Durchschnitt erfahren vier bis 17 Prozent aller Patientinnen und Patienten ein unerwünschtes Ereignis. Davon sind 44 bis 50 Prozent vermeidbar. Die finanzielle Last der direkten Kosten dieser Ereignisse liegt für die öffentlichen Gesundheitssysteme aller EU-Mitgliedsstaaten bei etwa 21 Mrd. Euro oder 1,5 Prozent der Gesundheitsausgaben im Jahr 2014.“

Ausblick

Das Gesundheitswesen werde komplexer, der Anspruch an die moderne Medizin größer, das Tempo neuer Entwicklungen steigere sich zusehends. Besonders fehleranfällig seien Schnittstellen, etwa wenn ein Patient aus dem Spital in hausärztliche Betreuung entlassen wird, sagte die Ärztliche Leiterin des Krankenhauses Hietzing, Brigitte Ettl. Daher arbeite man seit 2012 mit CIRSmedical, das Ettl inzwischen für unverzichtbar halte. Allerdings sei CIRS auch mit Arbeit verbunden: Mitarbeiterschulungen, konsequente Analyse und Beantwortung der gemeldeten Fälle und „immer wieder Marketing-Maßnahmen, um das System und dessen Nutzen für alle im Gesundheitswesen in Erinnerung zu rufen“. Die Österreichische Plattform Patientensicherheit habe daher eine praxisnahe Handlungsempfehlung für Einrichtung und Betrieb von Berichts- und Lernsystemen präsentiert – als Ergebnis der erstmaligen Zusammenarbeit von Experten aus Österreich (Österreichische Plattform Patientensicherheit), Deutschland (Aktionsbündnis Patientensicherheit) und der Schweiz (Patientensicherheit Schweiz).

Dennoch seien nicht Berichtsrekorde das Ziel von CIRSmedical, sondern ein gutes Verhältnis von Qualität und Quantität bei der Umsetzung der Empfehlungen und die Mitwirkung möglichst aller Bereiche des Gesundheitswesens.

Unterlagen

Presseunterlage (275KB)

Fotos

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Fotocredit: ÖÄK/Stefan Seelig