Die Verhandlungen zur Regierungsbildung nehmen langsam Fahrt auf. Sowohl im niedergelassenen Bereich als auch im Spitalsbereich stehen große Aufgaben für die neuen Entscheidungsträger an. Die Bundeskurien der Österreichischen Ärztekammer präsentierten Zugänge, wie sie die kommende Regierung dabei unterstützen können.
„In der Kurie der angestellten Ärzte und der Kurie der niedergelassenen Ärzte vertreten wir die Interessen der rund 50.000 Ärztinnen und Ärzte in Österreich, also der Leistungserbringer im System, die jeden Tag mit den Patientinnen und Patienten arbeiten und genau wissen, wie unser Gesundheitssystem funktioniert und wo es Verbesserungspotenzial gibt“, sagte Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. „Damit verfügen wir natürlich über eine Menge Expertise aus erster Hand und diese werden wir gerne der kommenden Bundesregierung anbieten. Wir haben sie auch dem aktuellen Noch-Gesundheitsminister immer wieder angeboten, auch öffentlich. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger besser zuhört und auch Hilfe annehmen kann“, so Mayer.
Die Stärkung des niedergelassenen Bereichs ist für Mayer ein ganz wichtiger Baustein für das österreichische Gesundheitssystem, um die dringend nötige Entlastung der Spitalsambulanzen zu erwirken. „Dazu braucht es optimale Abstimmung von intramuralem und extramuralem Bereich.“ Neben dem Ausbau des extramuralen Angebots erneuerte Mayer aber auch seine Forderung nach einer verbindlichen Patientenlenkung: „Wir haben ein gutes Gesundheitssystem, in dem zurzeit allerdings fast jeder macht, was er will. Deshalb brauchen wir eine effiziente Lenkung der Patientinnen und Patienten. Angesichts überfüllter Ambulanzen und zunehmend überlastetem Personal können wir die Patienten nicht mehr innerhalb jener Frist behandeln, die sie sich verdienen“, konstatierte Mayer: Die Versorgungspyramide und der Weg durchs System müssen daher ganz klar sein und folgendermaßen aussehen: wenn möglich ein erster digitaler Anlaufpunkt – niedergelassener Allgemeinmediziner – niedergelassener Facharzt – Spitalsambulanz – stationäre Spitalsbehandlung.
„Beim digitalen Kontakt als erstem Schritt denke ich an die Gesundheitshotline 1450, die sich meiner Ansicht nach bestens dafür eignen würde und die wir weiter ausbauen müssen – und zwar österreichweit. Wenn wir diesen verbindlichen Weg durch das System in die Köpfe bringen, man könnte das auch mit zusätzlichen Bonussystemen reizvoll machen, kann es uns gelingen, die Gesundheitsversorgung in Österreich auf jenem Top-Niveau, das wir gewohnt sind – aufrechtzuerhalten. Das müssen wir schleunigst umsetzen, die Politik muss handeln – und wir sind zur Mitarbeit jederzeit bereit. Setzen wir die verbindliche Patientenlenkung in unserem Land gemeinsam um – am besten gleich heute“, so Mayer.
Keineswegs dürfe jedenfalls bei der Gesundheitsversorgung gespart werden, betonte Mayer: „Unsere Gesundheit ist kein beliebiger Durchlaufposten im Budget, effizienzfördernde Maßnahmen dürfen keineswegs dazu verführen, etwa beim Personal, bei der ärztlichen Ausbildung oder bei dringend nötigen Innovationen bei der Digitalisierung, im Gesundheitssystem einzusparen. Ganz im Gegenteil, es gibt sicher Bereiche im Staatshaushalt, wo man einsparen kann und auch muss – sollte die neue Regierung bei der Gesundheit sparen wollen, werden wir uns massiv dagegen zur Wehr setzen.“
Wutscher: Ärztekammern stehen für verlässliche und innovative Zusammenarbeit
„Die Ärztekammern sind seit jeher verlässliche Partnerinnen im Gesundheitssystem, die sich mit ihrem Fachwissen und ihrem Know-how auch in die Konzeptarbeit einbringen“, hielt Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, fest. In jüngster Zeit habe man etwa das Kinder-PVE-Konzept erarbeitet und das Brustkrebs-Früherkennungsprogramm mitgestaltet. Auch mit den Krankenkassen funktioniert die Zusammenarbeit im Regelfall gut. „Es kommt natürlich sehr darauf an, ob man uns ehrlich und auf Augenhöhe begegnet“, sagte Wutscher. Vorbildlich sei die Kooperation mit der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS). „Daran kann sich die ÖGK gerne ein Beispiel nehmen, wenn sie ihren Versorgungsauftrag ernst nimmt“, forderte Wutscher. Denn an einer Attraktivierung der Kassenmedizin führe kein Weg vorbei. „All die Phantastereien von Zwangsverpflichtungen von Ärztinnen und Ärzten sind Bankrotterklärungen für jeglichen Gestaltungswillen“, sagte Wutscher.
„Bei der Attraktivierung geht es keineswegs lediglich um finanzielle Aspekte – das ist viel zu eindimensional gedacht“, betonte Wutscher: „Es geht um grundlegende Dinge wie die Möglichkeit, Kassenvertrag und Familie unter einen Hut zu bekommen, die Aufwertung der Gesprächsmedizin und viele andere Strukturprobleme, zu denen wir längst Lösungsmodelle ausgearbeitet haben.“ Aktuell würden Ärztinnen und Ärzte Kassenverträge als zu starr empfinden – die zunehmende Abwanderung in den Wahlarztbereich sei die logische Folge. Entscheidend sei auch, dass endlich ein moderner einheitlicher Leistungskatalog eingeführt werde. „Ich möchte hier klar dem ÖGK-Obmann Huss widersprechen, der zuletzt öffentlich gemeint hat, dass wir hier in den Verhandlungen schon sehr weit seien. Wahr ist vielmehr: Die ÖGK hat unseren einheitlichen Leistungskatalog, den wir ihr vor über dreieinhalb Jahren überreicht haben, jahrelang in der Schublade verschwinden lassen. Jetzt haben wir in ersten Gesprächen mit der ÖGK erst einmal definiert, wie Verhandlungen aussehen könnten. Es haben also noch nicht einmal Verhandlungen stattgefunden“, so Wutscher.
Bayer: Pauschalierungen wären Lohndumping durch die Hintertür
Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, warnte ebenfalls vor einer großen Gefahr: „Seitens der Gesundheitskasse träumt man immer wieder von einem System der Pauschalierungen – das wäre eine fatale Entwicklung für den niedergelassenen Kassenbereich.“ Schon jetzt zählen Deckelungen und Degressionen zu den größten Problemen im Kassenbereich. „Ich gehe davon aus, dass die Kasse auch bei den Pauschalen darauf drängen wird, immer mehr Leistungen dort hineinzupacken und womöglich diese auch noch zu deckeln. Dann würden wir Lohndumping durch die Hintertür erleben und der Kassenbereich würde noch unattraktiver.“ Zudem leide ohne Einzelleistungsabrechnung die Transparenz. „Mit uns wird es aus diesen Gründen kein Pauschalsystem geben – es könnte dem Kassenbereich irreparablen Schaden zufügen. Dieses Risiko können wir unseren Patientinnen und Patienten nicht zumuten“, sagte Bayer.
Notwendig sei im Gegenteil die Abschaffung der leistungsfeindlichen Deckelungen und Degressionen. „Zudem brauchen wir faire Tarife: Ich glaube nicht, dass es angemessen ist, dass die Blutabnahme aus der Vene weniger kostet als ein Krügel Bier.“ Dazu komme die Geringschätzung der Arztgespräche bei Kassenfachärzten: „Ein frauenärztliches Beratungsgespräch etwa, bei dem unter anderem mit den jungen Patientinnen Verhütungsmöglichkeiten besprochen werden, wird gerade einmal mit etwa 15 Euro vergütet – und ist auf nur einen geringen einstelligen Prozentbereich der Fälle beschränkt und auch nicht bei jeder Kasse möglich“, hielt Bayer beispielhaft fest.
Kamaleyan-Schmied: „Wissen, an welchen Schrauben wir drehen müssen“
„Als Ärztinnen und Ärzte ist es unsere Aufgabe, sich täglich um unsere Patientinnen und Patienten zu kümmern“, hielt Naghme Kamaleyan-Schmied, Obmann-Stellvertreterin der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, fest: „Die Politik wiederum ist gefordert, sich endlich unserem kranken Gesundheitssystem anzunehmen. Wir brauchen eine neugedachte Gesundheitspolitik, die alles daransetzt, die Versorgungsqualität aufrecht zu erhalten und die Wartezeiten rasch zu verkürzen. Wir wissen, an welchen Schrauben wir drehen müssen, damit das Uhrwerk wieder problemlos läuft und stehen der kommenden Bundesregierung als verlässlicher Partner zur Seite. Denn die Gesundheit der Bevölkerung muss wieder im Mittelpunkt stehen.“
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Foto Credit: ÖÄK/Katharina Fröschl-Roßboth