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PK „Medikamentenengpässe – weitere Verschärfung der Situation droht“

Mit dem steigenden Preisdruck auf die Hersteller drohen Österreich weitere Monate und Jahre im Zeichen des Medikamentenmangels. Fehler wie eine Wirkstoffverschreibung könnten jetzt fatale Konsequenzen haben.

„Dass in Österreich regelmäßig hunderte Arzneimittel fehlen, daran haben wir uns leider schon fast gewöhnt. Darunter im Alltag vieler Menschen unentbehrliche Medikamente wie Schmerzmittel, Antibiotika oder Hustensäfte für Kinder. Dass kranke Menschen dringend benötigte Medikamente nicht bekommen, ist aus medizinischer Sicht inakzeptabel und für ein wohlhabendes Land wie Österreich beschämend“, erinnerte Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, zum Beginn der Pressekonferenz.

Leider würden aktuelle Entwicklungen für die nähere Zukunft eine Fortschreibung dieser Mangelwirtschaft, oder sogar noch eine Verschärfung der Lage erwarten lassen. „Zum einen ist da das neue Preisband für Arzneimittelspezialitäten, das den Preisdruck auf die Hersteller weiter erhöht. Diese österreichische Eigenheit hat dazu geführt, dass Österreich international als „Billigland“ für Medikamente gilt“, so Steinhart. Damit sei auch klar, dass Österreich für die Hersteller von Arzneimittelspezialitäten nicht gerade als attraktiver Absatzmarkt gilt. „Wenn die Kostenschraube nun noch weiter angezogen wird, dann könnten noch mehr Medikamente vom österreichischen Markt verschwinden“, warnte der ÖÄK-Präsident.

Fataler Fehler

Ein weiterer fataler Fehler wäre es nun, die Wirkstoffverschreibung in Österreich einzuführen, wie es von der Politik in regelmäßigen Abständen aufs Tapet gebracht wird und wie es Funktionäre der Apothekerkammer vielfach fordern. „Dieses Konzept bedeutet, dass Ärztinnen oder Ärzte einer Patientin oder einem Patienten statt einem bestimmten Präparat nur noch den Wirkstoff verschreiben. Welches Medikament die Patienten dann in der Apotheke erhalten, unterliegt der Entscheidung des Apothekers – unabhängig davon, was der Arzt vorher mit dem Patienten besprochen hat. Zu befürchten ist also, dass die Auswahl nicht mehr am konkreten Bedarf eines Patienten orientiert ist, sondern auch andere Überlegungen wie Lagerhaltungskosten oder Gewinnspannen für die Apotheken entscheidungsrelevant werden“, erklärte Steinhart. Leidtragende wären dadurch die Patientinnen und Patienten: „Es muss davor gewarnt werden, dass die Compliance, also die Therapietreue, stark leidet, wenn ein Patient ständig neue Präparate bekommt. Für Patientinnen und Patienten bieten Medikamenten- oder Wirkstoffnamen häufig keine Orientierung. Für sie sind Aspekte wie Form oder Farbe der Arznei oder das Aussehen der Verpackung wichtig. Das Risiko, dass es zu Verwechslungen bei der Medikamenteneinnahme kommt, ist also hoch“, sagte Steinhart, der auch betonte, dass Ärztinnen und Ärzte speziell auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten eingehen: „Bei Schluckbeschwerden achten wir beispielsweise auf ein lösliches Präparat. Dieses Wissen über einen Patienten hat aber der Apotheker nicht und so kann es zu gefährlichen Situationen kommen, wenn der Patient trotzdem versucht, das Medikament zu schlucken.“

„Wir als Ärztinnen und Ärzte befürchten also durch drohende Konzepte wie die Wirkstoffverschreibung, und aktuell durch die österreichische Politik der niedrigen Medikamentenpreise eine Gefährdung unserer Patientinnen und Patienten. Gleichzeitig steigt dadurch der Betreuungs-, Beratungs- und Zeitaufwand – Leistungen, die die aktuelle Kassenmedizin nur sehr eingeschränkt bietet“, so Steinhart. Ärztinnen und Ärzten seien die letztverantwortlichen Kompetenzträger und bräuchten Entscheidungs- und Gestaltungshoheit über eine medikamentöse Therapie: „Und das mit gutem Recht aufgrund ihrer Kompetenz, die sie sich durch ihr jahrelanges Studium und die zahlreichen Aus- und Weiterbildungen erarbeitet haben“, unterstrich der ÖÄK-Präsident.

Die einzigen, die von einer Wirkstoffverschreibung wirklich profitieren würden, wären die Apotheken, die ihr Sortiment dann von Lagerkosten, Einkaufskonditionen und Rabatten abhängig machen könnten. „Wir Ärztinnen und Ärzte werden da nicht mitspielen, sondern uns im Sinne der Sicherheit unserer Patientinnen und Patienten dagegen zur Wehr setzen“, versprach Steinhart, der andere Lösungsmodelle für die Engpässe anführte: „Die Produktion von Medikamenten und Medizinprodukten muss nach Österreich oder zumindest nach Europa zurückgeholt werden. Wir brauchen hier eine neue Priorisierung. Wir alle sehen, wie sich die Weltmärkte, aber auch die globale Politik aktuell entwickeln: höchst erratisch, oft mit gravierenden Änderungen auf Tagesbasis. Mit dieser Ungewissheit können wir in einem sensiblen Bereich wie der Medikamentenproduktion nicht weitermachen. Und die österreichische Niedrigpreispolitik bei Medikamenten muss von der Politik revidiert werden. Wir dürfen uns nicht an Medikamentenknappheit und Mangelwirtschaft gewöhnen. Medikamente müssen uns allen wieder etwas wert sein“, so Steinhart.

Agneter: „Monatlich verschwinden 20 Generika aus dem Erstattungskodex“

„Einerseits wird die fehlende Lieferbarkeit zahlreicher wichtiger für die Versorgung der Patienten notwendigen Medikamente beklagt, andererseits werden immer neue Maßnahmen zur Preisreduktion und darüber hinaus gesetzliche Anforderungen (zum Beispiel die Verordnung zur Arzneimittelbevorratung, die kommunale Abwasserrichtlinie etc.) beschlossen“, brachte Ernst Agneter, Facharzt für Pharmakologie, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmakologie an der Sigmund Freud Privatuniversität und Präsident der Gesellschaft der Ärzte in Wien das Paradoxon auf den Punkt. Als Konsequenz würden durchschnittlich 20 Generika Arzneimittel pro Monat aktuell den Erstattungskodex in Österreich verlassen, „weil ihre Herstellung trotz Erstattung nicht mehr wirtschaftlich ist“, so Agneter.

Dazu komme die kommunale Abwasserrichtlinie der EU: Diese würde die Versorgung mit Metformin gefährden. „Metformin ist ein wirksames, günstiges Medikament, auf das weltweit rund 130 Millionen Patienten angewiesen sind. Es dient zur Behandlung von Diabetes Typ 2. Wenn die urban waste water treatment Guideline umgesetzt wird, dann ist anzunehmen, dass dieses Medikament vom Markt verschwindet“, sagte Agneter.

Und nicht zuletzt habe das erwähnte Preisband Auswirkungen auf die Medikamentenversorgung. „Das Preisband wurde 2017 eingeführt, um zusätzlich zu den Preissenkungen durch Generikaeintritte (minus 50% für das erste Generikum, weiter minus 18% für das zweite Generikum und weitere 15% für das dritte Generikum), die Preise mit Referenz auf den günstigsten Preis nochmals zu senken“, erinnerte der Pharmakologe. „Diese wiederholten, durch das Preisband erzwungenen Preissenkungen, führen mittlerweile zu grotesken Situationen“, schilderte Agneter. So habe der Dachverband, der in diesem Zusammenhang im Sinne der Patienten und mit Augenmaß agiert, einer Preiserhöhung im November 2024 für ein Arzneimittel zugestimmt, um die weitere Verfügbarkeit zu ermöglichen – nur mit dem Effekt, dass nunmehr genau dieses Arzneimittel dieses Jahr aufgrund des Preisbandes 2025 seinen Preis wieder senken müsste, führte Agneter aus: „Hier entsteht unnötige Arbeit für die Mitarbeiter des Dachverbandes, eine Verunsicherung damit therapierter Patienten und eine völlige Unmöglichkeit der Produktionsplanung beim pharmazeutischen Unternehmen.“

Wirkstoffverschreibung wird „aus guten Gründen regelmäßig ad acta gelegt“

„Abgesehen von allen bereits erwähnten Argumenten, die gegen eine Wirkstoffverschreibung in Österreich sprechen, würde diese insofern zu keiner Einsparung führen, da dies durch die oben geschilderten Mechanismen (in vielen Fällen durchaus überschießenden) bereits der Fall ist“, unterstrich Agneter: „Zusammenfassend wird das Thema Wirkstoffverschreibung in regelmäßigen Abständen diskutiert und aus guten Gründen wieder ad acta gelegt“, fasste Agneter zusammen: „Aufgrund der bereits zahlreich vorhandenen Preisregulationsmechanismen sind keinerlei Einsparungen durch eine Wirkstoffverschreibung zu erwarten. Mit Sicherheit käme es aber zu einer Verunsicherung der Patienten, zu einem verstärkten Erklärungsaufwand bei den verschreibenden Ärzten und zu einer Verschlechterung der Versorgungslage durch die Unmöglichkeit einer rechtzeitigen Produktionsplanung in der pharmazeutischen Industrie.“

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Johannes Steinhart Johannes Steinhart v.l.n.r. Johannes Steinhart, Ernst Agneter Johannes Steinhart Ernst Agneter Ernst Agneter

Foto Credit: ÖÄK/Stefan Seelig


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