„Die therapeutische Entscheidungshoheit muss dort bleiben, wo sie hingehört - beim Arzt“, fordert Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte.
„Traditionell gab und gibt es in Österreich eine sehr vernünftige Trennung zwischen der Arzneimittelverordnung durch Ärztinnen und Ärzte einerseits und der Abgabe dieser Medikamente durch Apotheken andererseits“, erläutert Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, heute in einem Pressegespräch. „Die Entscheidungshoheit über die Verschreibung von rezeptpflichtigen Medikamenten liegt aus guten Gründen bei den Ärztinnen und Ärzten, die dafür durch ihr Medizinstudium und die verpflichtend vorgeschriebenen Aus- und Weiterbildungen bestens vorbereitet sind. Die Schlüsselrolle des Arztes in der medikamentösen Therapie infrage zu stellen, kam in unserem Gesundheitssystem aus guten Gründen so gut wie niemandem ernsthaft in den Sinn. Seit einiger Zeit ist das leider anders. Aus unserer Sicht stellen die jüngsten, einseitigen Vorstöße in Richtung Aut idem massive und äußerst problematische Eingriffe in das bestehende System dar“, warnt Steinhart und nennt die wesentlichen Kritikpunkte:
- Den Ärzten würde die Entscheidungshoheit über die Verordnung einer medikamentösen Therapie, für die sie verantwortlich sind, entzogen werden.
- Es ist davon auszugehen, dass die Apotheken bei der Auswahl einer Arzneispezialität nach wirtschaftlichen Kriterien vorgehen, also zum Beispiel das Medikament mit der größten Gewinnspanne bevorzugt abgeben werden.
- Ein häufiger Wechsel von Handelspräparaten hätte negative Auswirkungen auf die Compliance und erhöht das Risiko von Fehl- und/oder Mehrfacheinnahmen mit entsprechend ungünstigen Auswirkungen auf Patienten und ihren Krankheitsverlauf.
- Dass Aut idem oder die Wirkstoffverordnung grundsätzlich Engpässe in der Medikamentenversorgung lösen können und außerdem das Gesundheitsbudget entlasten, ist ein Scheinargument. Dahinter stehen die wirtschaftlichen Interessen des Medikamentengroßhandels und seiner Apotheken.
- Ein Einsparungspotenzial durch Aut idem ist nicht vorhanden.
- Aut idem und Wirkstoffverordnung brächten also Patienten, Ärzten und der Gesundheitsversorgung keinen Nutzen, dafür aber viele Nachteilen. Vorteile bringen sie ausschließlich dem Medikamentengroßhandel und seinen Apotheken.
„Eine Lösung bei Lieferengpässen kann ein ‚Aut idem‘ sein, das auf der Arzt-Ebene stattfindet. Der Arzt muss beim Verschreiben schon durch ein Software-Tool informiert werden, dass das Medikament nicht lieferbar ist. Dann kann er mit seiner medizinischen Kompetenz und dem Wissen um die Krankengeschichte seines Patienten ein anderes Medikament verschreiben“, so Steinhart.
Ähnlich sieht es Michael Freissmuth, Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien: „Eine Aut idem-Regelung würde der öffentlichen Hand keine nennenswerten Einsparungspotenziale bringen, bei vielen Patientinnen und Patienten Verunsicherung erzeugen, das Risiko von Einnahmefehlern erhöhen und völlig einseitig den Arzneimittelgroßhandel mit seinen Apotheken bevorzugen. Patientinnen und Patienten und ihrer Versorgung mit Medikamenten brächte eine Aut idem-Regelung keinerlei Vorteile“, so Freissmuth. „Aut idem ist also insgesamt weder für Patienten noch für Ärzte noch für pharmazeutische Unternehmen noch für das solidarische Gesundheitssystem eine gute Lösung. Man sollte diese nicht empfehlen“, so Freissmuth abschließend.
„Entscheidungshoheit muss beim Arzt bleiben“
„Die therapeutische Entscheidungshoheit muss beim Arzt verbleiben“, fasst Johannes Steinhart die Position der Ärzteschaft zusammen. „In der Gesundheitsversorgung sollte jeder Gesundheitsberuf das tun, was er am besten kann: Der Arzt soll Medikamente verschreiben, der Apotheker abgeben. Eine Übertragung der Entscheidung über die individuell abgegebene Arzneispezialität vom Arzt auf den Apotheker wäre rein wirtschaftlich motiviert und ginge auf Kosten der Versorgung. Solche Scheinlösungen sind aus der Sicht der Ärztevertretung rigoros abzulehnen.“
Unterlage
Presseunterlage.pdf (363KB)
Fotos
Fotocredit: ÖÄK/Bernhard Noll
O-Töne (MP3)
Johannes Steinhart:
Wie beurteilen Sie die aktuelle Diskussion um die Einführung einer Aut-idem-Regelung?
Welche Forderungen stellen Sie?
Wer hat Ihrer Meinung nach Interesse an der Einführung einer Aut-idem-Regelung und warum?
Wie beurteilen Sie eine mögliche Wirkstoffverordnung?
Warum sind Sie gegen eine Aut-idem-Regelung?
Welche Ziele sollen Ihrer Meinung im Zentrum der Medikamentenversorgung stehen?
Michael Freissmuth:
Wem würde Ihrer Meinung nach eine Aut-idem-Regelung nützen?
Zu welchen Problemen kann die Einführung einer Aut-idem-Regelung Ihrer Meinung nach führen?
Welche Vorteile hat ihrer Meinung das aktuelle System?